Chinas Geschichte im Comic – China durch seine Geschichte verstehen – Band 4

17. April 2021
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Der Autor Liu Jing hat mit dem vierteiligen Comic über die Geschichte Chinas ein ambitioniertes Vorhaben unternommen. Ungefähr 5000 Jahre Geschichte und Mythen ranken sich um Chinas Genese und Jing Liu versucht diese in extrem geraffter Form in einer bebilderten Variante dem Leser des chinesischen Auslands näher zu bringen.

Das Spannende an diesem Comic ist zudem, dass diese gesamte Reihe, wie auch einige andere Veröffentlichungen des Verlags Chinabooks E. Wolf, in zweisprachiger Ausführung daherkommt. Die erste Hälfte des Comics ist in deutscher Sprache und die zweite in chinesischer.

Was Passiert also in dem Zeitraum 1368-1912 in der Region, die heute als China bekannt ist?

Dieser (vorerst) letzte Band der vierteiligen Reihe befasst sich viel mit der im späten Mittelalter beginnenden Kapitalisierung, der Einführung von Währungen, den dadurch entstandenen Problemen, die schlussendlich zum Phänomen des „Jahrhunderts der Demütigungen“ führte und der unausweichlichen Öffnung und Anpassung an „den Westen“.

Zu Beginn des Comics steht eine knappe Zusammenfassung des vorangegangenen Bandes. Die Mongolenherrschaft unter der Yuan-Dynastie war noch in der Regentschaft. Doch ein aus ärmlichen Verhältnissen entstammender Kaiser in der Werdung wird dem Leser nähergebracht. Der Begründer der bald beginnenden Ming-Dynastie, Zhu Yuanzhang aus dem der Kaiser Hongwu werden sollte, hat sich über eine Rebellion und die Errichtung der noch heute längsten Stadtmauern einer chinesischen Stadt in Nanking Ruhm erarbeitet. Nur kurz darauf begründete er die durch den persönlichen Hintergrund Hongwus zu erklärende Dynastie, die den Bauern weitestgehend entlasten wollte und dadurch über Jahre hinweg in größte Probleme rutschte.

Die chinesische Wirtschaft beruhte bis ins frühe 20. Jahrhundert auf Landwirtschaft. Hongwu reformierte das Steuerwesen, die Rechte des Frondienstes und die rechtlichen Grenzen der Beamten so sehr, dass es der Dynastie nicht gelang, genügend Finanzmittel zum Unterhalt des Staatsapparates, geschweige denn technologischer Fortschritte aufzubringen. Es gab in keiner Dynastie so kurzfristige und rückwärtsgewandte Entscheidungen, die das Leben so vieler Generationen nachhaltig negativ beeinflussen sollten.
Die steigenden Kosten führten schlussendlich dazu, dass die Regierung von einer Kupfer-Währung auf Silber umsteigen musste. Während einer Periode der Sparsamkeit schaffte es die Regierung dann doch, etwas zurückzulegen. Diese Gelder verschwanden aber nahezu im Bau des neuen Palasts in Beijing, einem Feldzug gegen Vietnam und der Expedition zur Erkundung neuer Handelsrouten auf dem Seeweg. Darauf folgend kam es zu einer immensen Inflation und der gänzlichen Abhängigkeit zum Silber. Dieses wurde zudem häufig aus Japan oder dem südamerikanischen Kontinent importiert. Piraterie war zu dieser Zeit ein weltweites Problem der Meere. Auch die chinesische Wirtschaft war davor nicht gefeit und so wurde der Handel mit Japan gezwungenermaßen legalisiert.

Kriege und Expansionen

Doch auch hier kamen das Schicksal beziehungsweise ungünstige Konstellation der Ereignisse zusammen. Ein Krieg gegen Korea und Japan von 1592 bis 1598, die Expansion der Mandschuren im Norden und die auch Europa schwer treffende kleine Eiszeit des 16. und 17. Jahrhunderts trafen die Ming-Dynastie schwer. Dem letzten Kaiser der Ming-Dynastie gelang die Bewältigung nicht, zudem kam eine Rebellion dazu. Er wählte den „ehrenhaften“ Suizid, tötete vorher seine Töchter und verhalf seinen Söhnen zur Flucht. Seine Armee kämpfte, um ihren Kaiser zu rächen, und zwang die Rebellen zur Aufgabe.

Zu gleicher Zeit gelang es den schon angedeuteten Mandschuren, eine feste Machtposition zu etablieren und schließlich die letzte chinesische Dynastie zu begründen. Die Qing-Dynastie währte bis zur Ausrufung der ersten Republik 1912 und hatte schwerste Konflikte zu erwarten.

Anfänglich sah es alles gut aus. Die Mandschuren waren selber ein sehr junges Volk, die sogar erst wenige Jahrzehnte vor der Machtergreifung eine eigene Schriftsprache entwickelten. Daher übernahmen sie das marode Regierungssystem der Ming und führten es fort. Eine Episode von 100 Jahren Frieden, wirtschaftlichem Aufschwung und der Einführung von amerikanischen Kulturpflanzen wie Mais und Kartoffeln erleichterte den Bauern die Landwirtschaft und finanziell stärkte sich die Qing-Dynastie immens. In diesem Jahrhundert wuchs die Bevölkerung auf das nahezu Dreifache ihrer ausgehenden Größe. Um 1800 waren es bereits ungefähr 300 Millionen Chinesen. Noch war das Land offen für fremde Kulturen und Technologien der westlichen Welt. Doch innerhalb weniger Jahre sollte sich dieses Verhältnis grundlegend ändern.

Der erste und zweite Opiumkrieg entbrannte, stürzte das Land in größte soziale wie auch wirtschaftliche und machtpolitische Probleme. Die Qing-Dynastie musste riesige Reparaturzahlungen leisten, die den Staatshaushalt massiv überschritten. Sie fühlten sich von den westlichen Mächten, vornehmlich Großbritannien, gegängelt und schlecht behandelt. Die sich radikalisierende Bevölkerung, die unter den vielen Kriegen und den daraus entstandenen Hungersnöten und finanziellen Misslagen litt, bildete nach einer entscheidenden Seeschlacht die Rebellengruppe der „Boxer“. Diese hassten alles Westliche und vor allem die zum Christentum konvertierten In- und Ausländer. Es entstand eine gewaltbereite Bewegung, die mehrere tausend Menschenleben verschlang in ihrem Kampf um die kulturelle Freiheit des chinesischen Volkes.

Auch in diesem Comic sind natürlich noch mehr Details, kleine Anekdoten und interessante Geschichten zu finden, die an dieser Stelle keine Erwähnungen finden können. Viele der sehr reduzierten und kompakten Erzählungen wirken ausschließlich exemplarisch und bilden ein Gerüst, das dem Leser die Chronik vermitteln soll und nur grob die Geschichte nacherzählt. Denn immerhin sind die Zeiträume mehr als groß und ebenso grob.

Der Stil und das Format

Wie in den vorausgegangenen drei Bänden sind die Illustrationen simpel und zweckdienlich.

Die Karten und Schaubilder sind sehr hilfreich, Maßangaben werden immer in den Fußnoten in bekanntere Größen umgerechnet und die vielfältigen hierhin auftretenden Nationen werden sehr stereotyp dargestellt. Auch in diesem Comic kann eine Ab- oder Aufwertung einiger Figuren unterstellt werden, allein dadurch, wie sie in ihrer Mimik dargestellt werden. Raffgierige Personen mit aufgerissenen Mündern und fiesen Fratzen sind häufig chinesische Invasoren und Menschen fremder Völker. Dafür, dass die Briten dem chinesischen Volk so übel zugesetzt und einen so drastischen Einfluss auf die Gesellschaft hatten, werden diese allerdings häufig recht harmlos grafisch umgesetzt.

Allgemein kann man sagen, dass die grafische Simplizität dem gesamten Werk sehr zugutekommt, auch wenn einige Schlachten oder bedeutende Episoden auch aufwendiger hätten gezeichnet werden können.

Fazit
Die „Geschichte Chinas im Comic“ ist eine definitiv zu empfehlende Lektüre, die einem Geschichte auf einem gänzlich anderen Weg näherbringt. Sie ist inhaltlich dicht, faktisch oft ausreichend detailliert und in ihrer gesamten Inszenierung sehr nahbar. Figuren, zu denen man sich beziehen kann, zu denen man eine gewisse Nähe aufbaut, werden etabliert und halten die Handlung für mehrere Seiten spannend. Die chinesische Perspektive wird in dieser Reihe gezeigt, wobei es allerdings mehr Belege am Ende eines Comics dafür geben könnte. Eine saubere Quellenangabe oder zumindest Material zur Vertiefung des interessierten Lesers in die Thematiken der chinesischen Geschichte wären interessant und auch hilfreich. Liu Jing hat ein sehr interessantes und in dieser Form noch nicht gesehenes Werk geschaffen, das viele Fragen aufwirft und auch viele Zusammenhänge darstellt, die den Verlauf und die neuzeitlichen Geschehnisse der Geschichte erklärbar macht. Der Grund dafür, dass die Erzählung bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts endet, lässt sich zum einen damit erklären, dass die Geschichte oft noch in den Archiven dem Zugriff der Historiker verschlossen bleibt, und zum anderen auch, dass die oft zu Problemen führende Darstellung der aktuellen Regierungspartei und ihrer Genese vielleicht problematisch für den Autor wäre. So oder so, es ist ein spannendes vierteiliges Werk über die 5000 Jahre lange Geschichte Chinas, die jedem, der sich nur einen Hauch für die Geschichte interessiert, ans Herz gelegt werden kann.
Pro
Komplexe Zusammenhänge werden verständlich erklärt, interessante kleine Fakten integriert.
Kontra
Teilweise sehr verkürzte und einseitige Darstellung der Historie.
9

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Lars Hünerfürst

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