#Comictober Die schlimmste Reise der Welt – Die Graphic Novel

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Die-schlimmste-Reise-der-Welt-Cover Panini

Gelegentlich bringt der für seine Superhelden-Titel bekannte Verlag Panini auch noch andere Comics und Graphic-Novels heraus. Diese großformatige Graphic-Novel im Hardcover gehört ausnahmslos dazu. „Die schlimmste Reise der Welt – Die Graphic Novel 1“ mit dem Untertitel „Ums Kap nach Süden“ ist eine historische Aufarbeitung einer Expeditionsreise in die Antarktis. Die Autorin und Zeichnerin Sarah Airriess entdeckte das Ausgangsmaterial über ein Hörspiel der BBC und war sofort gefesselt. Dass sie mehr als elf Jahre später eine historische Nacherzählung des „The worst journey“ vom an dieser Expedition teilnehmenden Apsley Cherry-Garrards veröffentlichen würde, glaubte damals noch niemand.

Ihre Motivation die Ereignisse so faktengetreu wie nur möglich darzustellen, schildert sie im dieses Werk einleitenden Vorwort. Darin werden auch einige Quellen und weitere Literatur für diese Graphic-History-Novel angeführt. Im Anhang finden sich außerdem weiterführende Erläuterungen und reichlich kontextualisierende Fakten zu vielen Details in so manchen Panels. Der Tatsache der historischen Akkuratesse geschuldet, förderte das „Scott Polar Research Institute“, die „NSF“ (National Science Foundation) und der „Antarctic Heritage Trust“ dieses Werk.

Ganze drei Jahre sollte die britische Antarktis-Expedition andauern und man kann sich ausmalen, dass Erwartungen, Hoffnungen und Phantasien nicht der Realität entsprechen sollen. Der Titel allein weckt ja schon eine Erwartungshaltung, die, so viel sei gesagt, in diesem ersten von zwei Teilen nicht vollständig erfüllt wird.

Frohen Mutes und Berge aus Idealismus

Copyright: Panini

Der Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Zeit voller Tatendrang, großer Entdeckungen und tollkühner Abenteurer im Namen der Wissenschaft. Die Besatzung der „Terra Nova“ setzte 1910 aus um den Lebensraum Antarktis zu erforschen. So ergab es sich, dass an Bord des Schiffs zahlreiche unterschiedliche Wissenschaftler aller erdenklichen Disziplinen zugegen waren. Allerdings darf man sich nicht den noblen Forscher im Kittel vorstellen, der mit ethischen Werten hinausgeht, um die Welt zu erforschen. Es wirkt tatsächlich eher so, als wären die Menschen auf diesem Boot mit einer gewissen pragmatischen Vorstellung und viel britischem Selbstwert der damals wichtigsten und wohlhabendsten Weltmacht ausgestattet. So ließe sich auch einiges der Ausrüstungsgegenstände und Habseligkeiten der Männer an Bord erklären. Man denke an Teeservice oder feine englische Möbel.

English Men auf hoher See

Die Reise startet in Cardiff und wird sich über mehrere Monate entlang der meiste befahrenen Routen bis nach Neuseeland erstrecken. In dieser ersten Ausgabe befasst sich die Künstlerin auch nahezu ausschließlich mit der Reise zum Ziel der Expedition. Denn natürlich ist die Seefahrt keine unkomplizierte Angelegenheit. Jeder Zeit lauern Gefahren, Komplikationen und auch Möglichkeiten der Wissenserweiterung auf dem Weg. So hält die Crew beispielsweise an einer einsamen Insel in Süd-Trinidad, um dort Tiere und Pflanzen zu erbeuten. Ganz selbstverständlich alles im Namen der Wissenschaft und ohne Rücksicht auf Ökosysteme, wie die Wissenschaft sie heute versteht.

Im Laufe dieser Geschichte lernen wir viele der wichtigsten Bezugspersonen des berichtenden Apsley kennen. Außerdem dürfen wir mehrfach Zeuge sein, wie sich das Schiff schwersten Unwettern und anderen das Unternehmen gefährdende Situationen stellen muss. Dies ist eben genau das, was die Seefahrt und die Expeditionen dieser Zeit ausmacht. Eine gleichbleibende Anspannung und die Bedrohung auf hoher See zu sterben. All das während man sich an Land im Frack und in feinster englischer Gesellschaft für die Bestrebungen feiern lassen konnte. Aus heutiger Sicht äußerst eigenartig und dennoch nicht minder interessant zu beobachten.

Wie in den „guten alten Zeiten“

Copyright: Panini

Die Künstlerin Sarah Airriess zeigt einen Stil, der unglaublich viel Nostalgie aufkommen lässt. Denn kein geringerer Vergleich, als die Hochphase der Disney-Animationen aus den 90er Jahren, ist bei diesem Werk angebracht. Nicht nur die Art und Weise zu kolorieren, die lebendig, vielschichtig und mit anschmiegend weichem Stil daher kommt, sondern auch das Layout, die Designs der Figuren und Szenerie und die Darstellung der Natur ist schlichtweg fantastisch. Das gesamte Werk ergibt von Anfang bis Ende einen durchdachten und sehr liebevoll gestalteten Eindruck. So fügen sich manche Karten oder kurze, ganzseitige Erläuterungen zum Beispiel zum Entdecker Amundsen ganz natürlich in den Lesefluss dieses Comics ein.

Gerade weil sich dieser Comic so sehr um die Zwischenmenschlichkeit der Besatzung dreht, liegt das Augenmerk auf Expressionen, Mimik und Gestik. Nicht überraschend also, dass Airriess jeder Person dieser Expedition ihren eigenen Gestus auf den Leib zeichnete. Dies nicht etwa auf möglichst einfache Art und Weise, sondern mit viel Fingerspitzengefühl, manchmal nur einem verschmitzten Grinsen aus dem Augenwinkel. Auch deshalb macht diese Geschichte so viel Spaß zu lesen. Andererseits kann dies als Kritik umgedeutet werden. Denn Seefahrten und vor allem solch Expeditionen waren nicht in pastellig-warmen Farbtönen, gesprenkelt von witzelnden, drollig dreinblickenden Matrosen. So kann der Eindruck entstehen, allein durch die Farbwirkung und Formgebung, dass alles weich, leicht und einfach gewesen sei. Selbst in Momenten größter Aufregung und Lebensbedrohung lugt ein Schmunzeln oder gewisse Slap-Stick Komik durch ein Bullauge und färbt die Situation.

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Fantastisches Exempel für Pop-Historie
„Die schlimmste Reise der Welt - Die Graphic Novel 1“ ist ein fantastisches Zeugnis für ein populärhistorisches Werk, das Form und Inhalt meisterhaft verbindet. Sarah Airriess Akribie und die Liebe zum Detail machen diese Graphic-Novel zu einer wahren Freude. Die Exposition ist getan, nun warten die Katastrophen und zahlreichen Rückschläge der allermeisten Expeditionen britischer Herrschaften im zweiten Band auf einen. Das Format, die Druckqualität und das allgemein lebendige Gefühl für die Figuren lässt die Vorfreude auf die Fortsetzung, die viele spannende Konflikte bereit hält, ins unermessliche steigen.
Pro
großartiges Layout und Design
liebevolle Zeichnungen der Figuren und Szenerie
Kontra
mögliche Good-Vibe-Washing durch Farb- und Formsprache

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris

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