Marvel Must-Have: X-Men: Magneto – Testament

21. Oktober 2022
2 Minuten gelesen

Superhelden! Das ist doch eh immer das Gleiche: Peng, Bum und viel Unsinn. Wer mit dieser meist recht stichhaltigen Einstellung an diesen Comic herangeht, wird eine Überraschung sondergleichen erleben. Mit „Marvel Must-Have: X-Men: Magneto – Testament“ erlebt man eine fiktiv-historische Neuerfindung einer der legendärsten Figuren. In dieser Hardcoverausgabe, in der sich viele weitere Informationen zur Figur und dem Entstehungskontext verbergen, ist die grausige Vergangenheit des Magneto niedergeschrieben. Mit der Neuausrichtung der bis dato meist ein- bis zweidimensionalen Figur durch Greg Pak („World War Hulk“) hat er Superhelden-Comicgeschichte geschrieben. Carmine di Giandomenico zeichnete und tuschte dieses Werk, das von Matt Hollingsworth koloriert wurde.

Erschreckend und ergreifend

Die Geschichte beginnt 1935 in Nürnberg. Max Eisenhardt ist 14 Jahre alt und hat sich in ein Mädchen verguckt, das er nun mit großen Errungenschaften auf ihn Aufmerksam machen möchte. Doch leider überschattet die deutsche Geschichte deren Romanze vorerst. Max ist jüdischen Glaubens, Sohn eines mit Ehren ausgezeichneten Veterans des Ersten Weltkriegs und dennoch Opfer täglicher Häme und körperlicher Gewalt durch seine Klassenkameraden. Magda, die Tochter einer Roma-Familie, lebt ihrerseits als Gehilfin und Putzkraft am Rande der sichtbaren Existenz.

Als sich die staatlich verordnete Hetze und Diskriminierung zu immer offener werdendem Antisemitismus wandeln, fasst sich Max Vater einen Plan ins Herz. Sie fahren nach Berlin während dort die olympischen Spiele durchgeführt werden. Solch Kleinigkeiten, wie das Abhängen aller faschistischen Symbole während der Anwesenheit der teilnehmenden Nationen, werden spielerisch in diesen Comic eingewoben. Der Plan des Vaters scheitert kläglich, ihnen werden keine Privilegien gewährt und sie müssen sich der neuen Realität stellen: Angst vor dem Tod an jeder Ecke. Kurz darauf werden die Nürnberger Gesetze in Kraft gesetzt und es kommt zur Reichsprogromnacht, in der die Familie Eisenhardt wie auch abertausende andere Familien in Angst und Schrecken versetzt werden. Ein düsteres Vorzeichen auf das, was noch kommen wird.

Flucht und Verfolgung

Die Familie Eisenhardt flieht gen Osten und landet im größten Ghetto Polens, dem Warschauer Ghetto. Max wird zum gekonnten Schmuggler, Informationsbeschaffer und Pläneschmieder. Sie werden fliehen. Ihre Flucht scheitert, denn sie werden gestellt. Nur dank seiner bis dahin unentdeckten Kräfte, die sich zum ersten Mal andeuten, konnte er als einziger seiner ganzen Familie das Erschießungskommando überleben. Er wird auf seiner Flucht geschnappt und landet in Auschwitz. Fortan schildert dieser Comic das fürchterliche Dasein im wohl größten Vernichtungslager der Menschheit. Max arbeitet im Sonderkommando für Leichenentsorgung nach der Vergasung und zerbricht innerlich hundertfach. Wer würde das nicht? Als er dann Magda im Frauenlager erspäht, wächst neue Hoffnung im jungen Erwachsenen, der schon mehr Schrecken erlebt hat, als ein Mensch es ertragen kann. Werden sie beide überleben?

Als Abschluss dieser semi-historisch-fiktiven Geschichte befindet sich ein Comic über ein wahres Ereignis. Es geht um die Geschichte der Dinah Babbitt, die während ihrer Gefangenschaft in Auschwitz für hochrangige SS-Offiziere Gemälde erstellte. Ihr Überleben war dem Glück und der Kunst gedankt. Umso verwerflicher ist es, dass bis heute ihre Werke nicht der noch lebenden Eigentümerin zurückgegeben wurden. Sie und viele hunderte Künstler baten das Museum in Auschwitz, die unter den unmenschlichsten Bedingungen erpressten Malereien zurückzuführen. Der Comic am Ende dieser Ausgabe erzählt ihre Geschichte.

Eine graue Zeit

Die gesamte visuelle Darstellung erinnert schwer an die schon damals erdrückenden Bilder aus „Schindlers Liste“. Nur wenige Farben finden sich in diesem sehr in Sepia- und Grautönen gehaltenem Werk. Der Atmosphäre der Geschichte angepasst, sind auch die Zeichnungen an sich auf eine eigene Art ästhetisch. Keineswegs findet sich hierin ein für Superhelden-Comics typischer Stil. Die Figurendesigns entfalten ihre Wirkung gänzlich. Wenig wird kaschiert, klare Expressionen, Schock, Gräuel, Verzweiflung und Hoffnung findet man in den Gesichtern der von Leid geplagten Charaktere. Die künstlerische Darstellung in Verbindung mit der Geschichte ballt sich zu einer Faust, die einem beim Lesen in die Magengrube schlägt. Es ist manches Mal schwer auszuhalten. Sich darauf einlassend, schafft dieser Superhelden-Comic ernsthafte Emotionen zu wecken, wenn auch traurige.

Fazit
„Marvel Must-Have: X-Men: Magneto – Testament“ wird dem Titel gerecht, bricht einen komplett und muss von jedem Comic-Fan gelesen werden. Ein mutiger Ansatz, Geschichte und fiktive Superhelden miteinander zu verbinden, gelingt hier ausnahmslos. Diese Geschichte ist einfach unfassbar, wäre sie nicht tatsächlich tausendfach so vonstatten gegangen. Man kann absolut nichts falsch machen mit diesem Must-Have. Wer glaubt, Superhelden sind immer nur Spandex und platte One-Liner, der sollte sich diese Ausgabe zu Gemüte führen. Große Empfehlung!
Pro
Kraftvolle und ergreifende Erkundung von Magnetos Herkunft im historischen Kontext des Holocaust; einzigartige Mischung aus Superhelden-Genre und ernsthafter und emotionaler Erzählung.
Kontra
Die schweren Themen und grafischen Darstellungen können für manche Leser eine emotionale Herausforderung darstellen; Kein typisches Superhelden-Comic-Erlebnis.
10

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Über den Autor

Lars Hünerfürst

Minimalistisch und musikalischer Comic Enthusiast - lief zu Fuß von Berlin nach Paris.

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