Eine Rucksackreise durch Japan – Siebzehnter Teil – Kyoto, die Stadt der Reizüberflutung

25. April 2024
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  1. Eine Rucksackreise durch Japan – Erster Teil – Die Ausfahrt „Nichtraucher“
  2. Eine Rucksackreise durch Japan – Zweiter Teil – die ersten Schritte
  3. Eine Rucksackreise durch Japan – Dritter Teil – auf die inneren Werte kommt es an
  4. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierter Teil – Sprachbarrieren
  5. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfter Teil – Zu Gast bei Familie Takahashi
  6. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechster Teil – Heiß, Heißer, Onsen
  7. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebter Teil – It’s a Long Way From Home
  8. Eine Rucksackreise durch Japan – Achter Teil – Kontraste
  9. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunter Teil – Allein unter Tausenden
  10. Eine Rucksackreise durch Japan – Zehnter Teil – Yukatas, Trommeln und eine Erkenntnis
  11. Eine Rucksackreise durch Japan – Elfter Teil – Ein langes Gespräch und wenig Bewegung
  12. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwölfter Teil – Mitten im Nirgendwo
  13. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreizehnter Teil – Die Magie der Zeit
  14. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierzehnter Teil – Klima, Verkehr und ein Paar auf Hochzeitsreise
  15. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfzehnter Teil – Die Stadt des Tons
  16. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechzehnter Teil – Eine Zeitreise
  17. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebzehnter Teil – Kyoto, die Stadt der Reizüberflutung
  18. Eine Rucksackreise durch Japan – Achtzehnter Teil – Ein Tag in der Mall und eine Massage
  19. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunzehnter Teil – Die Suche nach Tee und das Nachtleben
  20. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwanzigster Teil – Körperlich ausgelaugt
  21. Eine Rucksackreise durch Japan – Einundzwanzigster Teil – Ein Tag im Nebel

Ich erwachte recht zeitig, wenn auch zerknautscht, und suchte vergebens einen warmen Kaffee zum wach werden. Meine Gastgeberin reichte mir glücklicherweise einen aus ihrem Kühlschrank. Sie hätten sonst keine andere Art Kaffee im Haus gehabt. Die kalte Flüssigkeit schlürfend, saß ich mit noch müden Augen im Schatten vor dem Haus und raucht meine erste Zigarette. Heute würde ich mich ins Getümmel werfen und Kyoto erkunden.

Da die Stadt übervoll an Sehenswürdigkeiten und kulturellen Angeboten war, nahm ich mir einige Minuten der Recherche Zeit, um mir einen groben Plan zu entwerfen. Das von mir gebuchte Hotel befand sich nur einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt und ich hätte so das Maximum an Zeit, um mich all den Gebäuden, Plätzen und Geschäften, die „man unbedingt gesehen haben muss“ zu widmen. Ich spürte schon eine innerliche Anspannung beim Gedanken daran, zeitlich eng getaktete Programmpunkte abzuarbeiten. Es fühlte sich wie Arbeit an, nicht wie entspanntes Erkunden, wofür ich eigentlich hier war. Doch nach Kyoto käme ich schließlich nicht alle Tage, also tolerierte ich diesen sauren Apfel und drehte mir diesen zumindest so hin, dass ich in die schönste Stelle zuerst beißen konnte.

Nach dem ausgiebigen Frühstück, das mir meine Gastgeberin kredenzte, im Beisein des immer laufenden Fernsehers, nahm ich gemütlich meine Sachen und kehrte zum Bahnhof zurück. Viele der gestrigen Gäste und Reisegruppen standen nun auch wieder am Bahnhof und fuhren ebenso zurück. Ich war bei dieser Tour ganz wie geplant mit der Kamera ausgerüstet. Fast eine Stunde lief ich immer wieder von der einen Seite des Abteils zur anderen, um diese und jene Perspektive zu erhaschen. Der Zug war leider meist schneller als mein Finger am Auslöser und ich auf eine Aussicht zu reagieren. Nichtsdestotrotz nahm ich doch einige ganz nette Motive von dieser Zugfahrt mit, gespeichert auf der SD-Karte der Kamera und meinem inneren Auge.

Als ich dann in Nagoya umstieg, hätte mir schon klar werden müssen, was mich von nun an umgeben sollte. Menschen, nichts als Menschen überall. Kyoto war schließlich eine dieser Städte, die immer wieder auftauchten in Reiseführern. Die Empfehlungen von Bekannten, auf der Reise kennengelernten Menschen und natürlich auch die in historisch anmutenden Mangas und Filmen überaus präsente Darstellung der Altstadtromantik waren genügend Gründe es sich selber anzusehen. Blauäugig und im Versuch keine all zu übersteigerten Erwartungen zu haben, wollte ich diese Stadt vollends genießen. Doch dann waren da eben noch die abertausenden anderen Menschen.

Nach knapp zwei Wochen in mehr oder weniger kleinen Städten, bis auf wenige Ausnahmen, freundete ich mich mit der Ruhe und unaufgeregten Geschwindigkeit an. Ich gewöhnte mich an eine überschaubare Menge Menschen auf meinen beschrittenen Wegen, umarmte die Ruhe der Straßen und genoß das Gefühl der „einzige“ Tourist in einem Ort zu sein. Nichts davon blieb mir in Kyoto erhalten.

Am Bahnhof angekommen, schritt ich, immer wieder meine Route mit dem Telefon abgleichend, durch die sengende Mittagshitze zum Hotel. Es war nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt, in einer kleinen Gasse hinter einem riesigen Parkhaus. Als ich meine Sachen, wie immer reichlich vor der Check-In Zeit, auf dem Boden absetzte, stellte die Dame hinter dem Tresen auf für mich sehr direkte Art klar, dass ich noch nicht einchecken könne. Es war fast ein Schock wie direkt und gänzlich frei von japanischer Zurückhaltung und Vorsicht in Sprache und Mimik sie mit mir redete. Sicherlich hatten die Jahre des Kontakts mit Touristen auch in ihr etwas verändert. Ich gab zu verstehen, dass ich um die Uhrzeit Bescheid wusste und dass ich vorhatte nochmal in die Stadt zu gehen. Als sie mir dann sagte, dass das Hotel ab elf Uhr Nachts abgeschlossen würde, war ich überrascht und ein wenig verärgert, dies nicht schon bei der Reservierung im Internet gelesen zu haben. Niemand konnte nach elf Uhr rein oder raus. Ob dies im Falle eines Notfalls sinnvoll gewesen sei, kam mir erst später in den Sinn. Doch verstand ich auch, dass es in einer solch belebten Gegend unabdingbar gewesen sei eine Person am Schalter stehen zu haben, die dann auf die ein- und ausgehenden Menschen ein Auge hatte. Allerdings würde die Unterkunft unter diesen Bedingungen sicherlich nicht solch günstige Preise aufrufen können, dachte ich mir und verwarf den Frust darüber. Ich war hauptsächlich darüber enerviert, dass ich häufig länger als elf Uhr wach gewesen bin und gerne noch eine Zigarette rauchte, bevor ich mich dann ins Schlafgewand kleidete und mich für die Nacht bereit machte. 

Die Frau am Empfang merkte mein Zögern und die nicht sehr geschickt versteckte Enttäuschung natürlich sofort. Anstatt mir jedoch ein Lösung für mein Anliegen anzubieten, schlug sie mit wegwischender Geste vor, dass ich auch immer noch die Buchung stornieren konnte. Ich fühlte mich nicht willkommen und überlegte für einen Moment tatsächlich nochmal loszuziehen und mir eine andere Unterkunft zu suchen. Der Preis und die Lage bewegten mich dann aber doch dazu auf meine Befindlichkeiten weniger Rücksicht zu nehmen und die Gegebenheiten des Hotels zu akzeptieren.

So verließ ich meinen Rucksack und ging hinaus in die flimmernd heiße Stadt. Auf dem Weg nach Kyoto und schon in den Tagen vorher, sammelte ich Ideen, bekam Empfehlungen zu Orten, die ich mir ansehen sollte und hatte so eine breite Auswahl an markierten Punkten auf meiner digitalen Karte im Smartphone. Die Kameratasche auf der gegenüberliegenden Seite meiner Umhängetasche hängend betrat ich wieder den zentral gelegenen Hauptbahnhof. Eine halbe Stunde Fahrt lag vor mir, um einen Bambushain zu erreichen, der als Inspiration für den Ghibli-Film „Die Prinzessin Kaguya“ gedient haben solle. Ich nahm an, dass die halbe Stunde Fahrtzeit mich ein wenig aus dem Trubel und der Fülle an Menschen herausnehmen würde. Als ich dann jedoch aus dem angepeilten Bahnhof ausstieg, war ich schlichtweg schockiert, ob der Menge unaufhörlich hin- und zuströmender Touristen. Der gesamte Ort war um diese Sehenswürdigkeit gesponnen. Anliegende und auf dem Weg zum Bambushain liegende Straßen und Geschäfte lockten mit Angeboten auf Schildern in mehrsprachiger Ausführung.

Ich ließ meinen Blick schweifen und war einfach überfordert von den überlaufend vollen Souvenirläden, den bis auf die Straße stehenden Gruppen in den Schlangen der Eisläden und vom Hintergrundrauschen der sich immer bewegenden Kulisse aus noch mehr Touristen. Nun war ich schon Mal hier, also würde ich auch zum Bambushain gehen. Ich nahm meinen Platz in dem Strom aus Menschen durch die kleinen Gassen ein und erreichte nach kurzer Zeit und vielem Schwitzen die Sehenswürdigkeit. 

Als ich dann durch den Schatten spendenden Bambuswald lief, fiel mir eine ebenfalls allein herumlaufende Touristin auf. Ich sprach sie an, fragte, ob sie auch über die Anzahl der Menschen verwundert war. Sie antwortete kurz und abweisend, dass sie damit gerechnet hatte sogar noch mehr Menschen vor Ort zu erleben. Sie wandte sich das Gespräch abschneidend ab und ich suchte mir einen Weg heraus aus den Wanderwegen durch die Meterhohen Bambuspflanzen. Niemanden zum Sozialisieren, inmitten der tausenden Touristen, fühlte ich mich zum ersten Mal sehr verlassen, anonym und allein.

Bis dahin hatte ich kein einziges Foto gemacht, denn ich war alles andere als in der Verfassung meine Umgebung mit einem Blick für ein Motiv zu betrachten. Der Schweiß rann mir durch das Gesicht, sammelte sich an den sich kreuzenden Tragegurten meines mobilen Büros und der Kameratasche und tropfte am Rücken von den Schulterblättern herab. Die vielen Menschen produzierten einen durchdringenden Geräuschpegel, der von Chinesisch dominiert wurde. Ich hatte kurze Zeit das Gefühl ausschließlich unter Chinesen zu sein, die nicht unbedingt dafür bekannt waren leise und sich dem japanischen Credo: „die Anderen nicht stören“ zu unterwerfen. Mein Wahrnehmung war schlichtweg überfüllt mit Eindrücken und ich empfand ein immenses Bedürfnis schnell wegzukommen. 

Ich besorgte mir einen Kaffee aus einem Automaten und verschwand in eine kleine Gasse. Neben mir floß ein künstlich angelegter, von der Natur mit kräftigen Pflanzen zurückeroberter Kanal, auf der anderen Seite befanden sich einige Sozialbauwohnungen. Kraftlos und genervt saß ich im Schatten eines der Häuser auf dem Boden, an eine Mauer angelehnt. Mir wurde bewusst, dass ich nicht gewappnet war für diesen Tag.

Eine immer größer werdende Frustration nahm in meinem Kopf Platz ein. Viel schlimmer aber, war dass ich schwerst gereizt und genervt war darüber, dass ich so genervt und gereizt war. Meine Oberschenkel begannen zu jucken, ein prüfender Blick verriet mir, dass das, was auch immer es war, nicht besser wurde sondern immer nur noch größer. Ich hätte mir am liebsten die Haut vom Leibe geschält, solch eine kurze Lunte hatte ich. Doch so schnell die Welle aus Frustration und Wut über mir einbrach, so schnell zog sich die Hitze aus meinen Gefühlen auch zurück. Mein gelungener Versuch der rationalen Entscheidung und Selbstorganisation ebnete die Wogen ein. Doch was blieb nun zurück? Ich sehnte mich nach einem Telefonat oder einem Gespräch, ganz bestimmt nach einer liebevollen Umarmung. Wie einfältig ich war ohne Plan und mentale Vorbereitung diesen Tag, ja wenn nicht sogar diese ganze Reise anzugehen. Warum wunderte ich mich über die Masse an Menschen in einer der Tourismushochburgen Japans? Einem der am dichtest besiedelten und touristisch extrem hoch frequentierten Länder der Welt. Lag es überhaupt daran oder war ich einfach erledigt? War diese Überforderung gar nicht den Menschenmassen zuzuschreiben, sondern viel mehr einer inneren und äußeren Erschöpfung? Meine Stimmung und Laune waren bisher recht stabil, wenn auch nicht immer spritzig, durch die Gegend springend. Noch viele weitere Stunden hätte ich mich, ob meiner geringen Resilienz und mangelnder Planung dort im Schatten sitzend, selbst kasteien können. Ich saß dort nun schon eine Stunde. Diese Zeit zog fast nicht wahrnehmbar an mir vorüber, also nahm ich sie mir wieder und kehrte die eigenen Fehlbarkeiten in etwas Wohltuendes um. Ich fuhr zurück zum Hotel.

Die Zugfahrt zu dulden, die vielen Eindrücke, der wie Ameisen scheinbar planlos durch- und nebeneinander laufenden Menschen hinnehmend und mich nicht mehr über das Schwitzen zu echauffieren, veränderte meine Wahrnehmung ein wenig. Ich steckte mir Kopfhörer in die Ohren und ließ mich von Podcasts, denen ich nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte, gekonnt ablenken und besänftigen. Die klangliche Bildung einer kleinen Blase, der Abschottung zur Außenwelt, bewirkte so manches Mal Wunder. In dieser zunehmend ruhigen und in mich zurückziehenden Stimmung schritt ich gemächlich die Gleise entlang, durch die verwinkelten Hallen und Gänge des Bahnhofs zurück zum Hotel. Das Zimmer war nun bereit und ich trug meinen Rucksack die wenigen Meter bis zum Ende des Flurs im Erdgeschoss. Das Tatami-Zimmer betreten, warf ich alles von mir und zog meine nasse Kleidung aus, lief langsam umher und trocknete mich.

Ich hatte einen Entschluss gefasst. Kyoto würde nicht weglaufen und ich würde mit Sicherheit nochmal nach Japan reisen. Dann aber mit besseren Sprachkenntnissen und etwas mehr Planung und Zeit an ausgewählten Orten wie Kyoto. Ich akzeptierte meine Situation. Die miserable Laune vor einigen Stunden hinnehmend, legte ich mich fortan in die mentale Hängematte des Einklangs mit meinen Entscheidungen. Die Feststellung einfach gar nichts zu müssen und nirgendwo mehr hinzugehen, damit ich eine Sehenswürdigkeit abhaken könnte, verschaffte mir eine große Erleichterung. Ich betonte in Gesprächen zum Thema Emotionen und Gedanken immer wieder Mal, dass es für mich einen gravierenden Unterschied gäbe zwischen rationaler Wahrheit und gefühlter Wahrheit. Nun nahm ich eben den Umweg über eine bewusste Entscheidung mich nicht mehr so zu fühlen, wie noch vor ein paar Stunden.
Zu meiner großen Freude stellte ich fest, dass sich in meinem Zimmer eine Tür befand, die mich in einen kleinen Flur zwischen Grundstücksmauer und Haus ließ. So schien die Nachricht der Schließung des Hotels um elf Uhr nachts auch nicht mehr so schlimm. Ich hatte ja nun meinen eigenen kleinen Raucherbereich und hätte theoretisch sogar die Mauer hochklettern können, um einen Spaziergang zu machen.

Zuallererst genehmigte ich mir jedoch eine Dusche. Ein weiteres Mittel, wie ich bemerkte, das mir dabei half einen bisher mäßigen Tagesverlauf wörtlich gesprochen wegzuwaschen und einen kleinen Neustart machen zu können. Mit aller Ruhe der Welt legte ich mich auf den Futon und döste weg.
Einige Minuten später hievte ich meine Körpergefährt hoch und zog mich an, um einige Erledigungen zu tätigen. Ich musste etwas Essen besorgen, für den akuten Hunger, die Nacht und den kommenden Morgen. Außerdem brauchte ich dringend mehr Unterwäsche, denn ich war stetig dabei ausgediente und abgetragene Kleidung auszusortieren. So trug ich zumindest nicht mehr des unnützen Zeugs jeden Tag durch die Gegend.

Ich begann meinen kleinen Ausflug am frühen Abend weg vom Hauptbahnhof in nördlicher Richtung durch die engen Nebenstraßen. Die kleinen Straßen und Gassen luden mich mit ihrer Stille ein sie zu durchschreiten. Dort machte ich das einzige Foto des ganzen, mich hoffnungslos überfordernden Tages.

Nach einer geraumen Zeit kehrte ich in ein Restaurant ein, stärkte mich ein wenig und spazierte wieder zurück zum Hotel. Ich hatte mit dem Tag bereits abgeschlossen und keine Erwartungen mehr, weder an meine Bereitschaft weitere Sehenswürdigkeit anzupeilen, noch große Taten vollbringen zu müssen. Es war erleichternd mich dieses Ballasts erleichtert zu haben. Zurück im Hotel nutzte ich die mir geschenkte Zeit, um meine Gedanken und Eindrücke weiter in diesem Reisebericht auszuformulieren, bearbeitete einige Fotos und betrat gelegentlich meinen kleinen Raucherbereich zwischen Tür und Mauer. Zum Abend hin wuchs mein Hunger wieder an und ich hatte auch noch keine Kleidung gekauft. Also legte ich den gern getragenen Schlafkimono wieder ab und verließ abermals das Hotel, bevor sich dessen Pforten für die Nacht schließen würden.

Einen kurzen und zielgerichteten Besuch im Uniqlo später setzte ich mich in ein Ramenrestaurant im Kyoto-Hauptbahnhof. Der komplett untertunnelte und über mehrere Ebenen verwinkelte Bahnhof, bot wie ich auch bereits in anderen Städten bemerkte, einfach alles, was das Herz begehren konnte. Der kleine Ramenladen war mäßig gefüllt und ich setzte mich an den Tresen, mit Blick in die Küche. Die Bestellung nahm ich dieses Mal bei einer Bedienung und keinem Automaten vor. Dieser beschäftigt durch die Reihen des Ladens laufende Mann, empfing und verabschiedete die Gäste, sammelte das Geschirr und brachte die Bestellungen. Seine wichtigste Aufgabe jedoch bestand darin die aufgegebenen Bestellungen mit lauter Stimme durch das Restaurant in die Küche zu rufen. Die Antwort der Köche schallte prompt unisono zurück. So herrschte keines Wegs die sonst so gewöhnliche gefrässige Stille. Immer wieder brach der Kellner mit seinem kraftvollen Singsang durch die im Hintergrund laufende Popmusik.

Nachdem ich meine große Schale Ramen und eine satte Portion Gyoza in mich hinein schlürfte, schlenderte ich in einer Seelenruhe, frei vom Druck des Nachmittags und frei von jedweder Sorgen, durch die bereits von Dunkelheit eingehüllte Gegend rund um den Bahnhof. Ich landete kurz darauf wieder in meinem Zimmer und musste etwas mit erschrecken feststellen. Mein vor ein paar Tagen festgestellter Ausschlag wurde einfach nicht besser. Es begann mich mehr und mehr zu beunruhigen, zumal der Juckreiz auch zunehmend stärker wurde. In dieser Nacht sollte ich das erste Mal wegen des anhaltenden Juckens richtig wach werden. Es blieb nun nicht mehr bei nur einer handgroßen Fläche auf dem Oberschenkel. Die anfängliche Reizung hatte sich ausgebreitet, verteilt und schien der Gravitation zu Folgen meine Beine hinab zu wandern. Eine schnelle Recherche im Internet veranlasste natürlich keine Abnahme meiner Besorgnis. Wie es das nie macht, wenn man Symptome im Internet recherchierte. Ich müsste mich laut Internet darauf gefasst machen von Krätzemilben zerfressen zu sein, auf ein mir unbekanntes Lebensmittel allergisch zu sein oder mit dem falschen Waschmittel in Kontakt gekommen zu sein. Nichts davon schien mir wirklich plausibel, wenn auch nicht weniger nervig. Vorerst erschien mir die Situation aber noch nicht zu eskalieren und ich würde vorerst meine Pläne nicht durch körperliche Gebrechen verändern lassen.

Mit dieser Einstellung begab ich mich einige Stunden nach Mitternacht zur Bettruhe und schlief eher unruhig. Der Ausblick auf die Ankunft auf der Südinsel Kyushu glättete allerdings die meisten Wogen und Sorgen.

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