Eine Rucksackreise durch Japan – Vierter Teil – Sprachbarrieren

  1. Eine Rucksackreise durch Japan – Erster Teil – Die Ausfahrt „Nichtraucher“
  2. Eine Rucksackreise durch Japan – Zweiter Teil – die ersten Schritte
  3. Eine Rucksackreise durch Japan – Dritter Teil – auf die inneren Werte kommt es an
  4. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierter Teil – Sprachbarrieren
  5. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfter Teil – Zu Gast bei Familie Takahashi
  6. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechster Teil – Heiß, Heißer, Onsen
  7. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebter Teil – It’s a Long Way From Home
  8. Eine Rucksackreise durch Japan – Achter Teil – Kontraste
  9. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunter Teil – Allein unter Tausenden
  10. Eine Rucksackreise durch Japan – Zehnter Teil – Yukatas, Trommeln und eine Erkenntnis
  11. Eine Rucksackreise durch Japan – Elfter Teil – Ein langes Gespräch und wenig Bewegung
  12. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwölfter Teil – Mitten im Nirgendwo
  13. Eine Rucksackreise durch Japan – Dreizehnter Teil – Die Magie der Zeit
  14. Eine Rucksackreise durch Japan – Vierzehnter Teil – Klima, Verkehr und ein Paar auf Hochzeitsreise
  15. Eine Rucksackreise durch Japan – Fünfzehnter Teil – Die Stadt des Tons
  16. Eine Rucksackreise durch Japan – Sechzehnter Teil – Eine Zeitreise
  17. Eine Rucksackreise durch Japan – Siebzehnter Teil – Kyoto, die Stadt der Reizüberflutung
  18. Eine Rucksackreise durch Japan – Achtzehnter Teil – Ein Tag in der Mall und eine Massage
  19. Eine Rucksackreise durch Japan – Neunzehnter Teil – Die Suche nach Tee und das Nachtleben
  20. Eine Rucksackreise durch Japan – Zwanzigster Teil – Körperlich ausgelaugt Scheduled for 28. April 2024
  21. Eine Rucksackreise durch Japan – Einundzwanzigster Teil – Ein Tag im Nebel Scheduled for 29. April 2024

-Sprachbarrieren- 

Die zweite Nacht war glücklicherweise weniger unruhig und inkonsistent als die erste in Tokio. Dennoch schien mich irgendetwas nicht zur Ruhe kommen zu lassen und ich wachte mehrfach auf, um dann den trägen Körper einmal zu wenden und sofort wieder einzuschlafen. Schlussendlich weckte mich dann die ins Zimmer strömende Sonne, die durch die mit Papier beklebten Schiebefenster (Shoji) ein warmes Licht ins Zimmer warf. Die Härte des zur Schlafenszeit ausgerollten Futons war sehr genehm, da ich zu Hause auch eine Futon-Matratze hatte, die nicht weniger hart war als ein dick belegter Teppichboden. 

Ich schlich durch das Hotel, mit den im Innenbereich einer japanischen Unterkunft üblichen Slippern bekleidet, die mir als Schuhgröße 44 tragender Europäer natürlich leider viel zu klein waren. Ich werde in anderen Unterkünften beobachtet haben, dass nicht nur ich, sondern auch Japaner selber ein Problem mit der Größe dieser Slipper haben. Also schlürfte ich, bisher nur mit einer Tasse Instant-Kaffee, den ich aus dem Hotel in Tokio mitnahm, betankt, durch die Flure. In der Hoffnung, dass das Personal des Ryokan mir helfen hätte können, wandte ich mich bezüglich des angedachten Anrufs bei der nächsten Unterkunft an die Rezeption. Dort saß derweil nur der Ehemann, der mich am Vortag mit einigen englischen Worten begrüßenden Geschäftsführerin. Wir hatten keine gemeinsame Sprache. Ich versuchte mit Händen und Füßen, wie einem gewissen Anspruch an mich nicht alles mit Google Translate erledigen zu wollen, mein Anliegen zu klären. Wir verständigten uns schwerlich über die Details zum Fahrtweg, die mir der freundliche Herr versuchte trotz des Maps-Fahrplans, den ich ihm immer wieder zeigte, zu erklären. Sie druckten mir diesen und ein Bild vom Hotel sogar auf Papier aus. Es dauerte insgesamt fast eine halbe Stunde bis wir alle drei (die Besitzerin kam etwas später hinzu) das Gefühl hatten, diese gemeinsame Aufgabe befriedigend abgeschlossen zu haben. Sie sagten, dass ich mir am Bahnhof eine Kleinigkeit zu essen kaufen müsste, da die Fahrt etwas länger dauern könnte. Es war schließlich ein richtig langsamer und an jeder Station haltender Bummelzug. Sie erklärten mir auch, dass es einen Shuttle-Bus geben würde, der mich vom Hotel zur Bahnstation fahren sollte. Dies war mehr, als ich mir je hätte ausmalen können. 

Ich bedankte mich für die Hilfe und den Ratschlag und ging erst einmal vor die Tür, um dort mit Blick aufs Grün des anliegenden flachen Waldes eine zu Rauchen. Wenig später kam der Herr, mit dem ich mich verständigen zu versuchte ebenso heraus und wir rauchten gemeinsam. Er fragte mich woher ich käme und nannte, ganz zu meinem Erstaunen, die Zeit der deutschen Teilung als seine erste Assoziation zu Deutschland. Es hat mich nicht gewundert, dass als historische Referenz nicht die, wie sonst sehr häufig im nicht europäischen Ausland genannte, Nazizeit als erstes fiel. Dabei sollte man wissen, dass nicht alle Nationen damaliger Faschistenstaaten in ihren Anstrengungen so ambitioniert in der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte waren wie Deutschland. Japan hat noch immer einige weiße Flecken im alltäglichen historischen Bewusstsein, oder weiß diese einfach gekonnt auszuklammern. Er verschwand nach der Zigarette für einen kurzen Augenblick und kam mit einer kleinen Kunststoffschale zurück. Sie mir überreichend, sagte er das Wort für „Zug“ und mir wurde klar, dass dieser mit Adzuki-Bohnen gekochte Reis ein Geschenk für meine Bahnfahrt zur nächsten Unterkunft war. Sie hatten mir ein kleines Bento gemacht, damit ich nicht hungern würde. So etwas herzliches und zugewandtes hatte ich bisher in keiner noch so gastfreundlichen Unterkunft erlebt. Ein wenig gerührt saß ich dort nun also mit meinem Bento. Ich hatte noch etwas Zeit bevor mich der Shuttle-Bus abholen würde. 

Doch nun war es erstmal an der Zeit mein erstes japanisches Frühstück in einem Hotel zu mir zu nehmen. Ich war schon extrem gespannt auf die mir nur aus Filmen bekannte Auswahl und Reichhaltigkeit. Also nahm ich wieder Platz im Speisesaal, der nun am Morgen einen großartigen Blick auf den Strand und das in der Morgensonne silber glitzernde Meer bereithielt. Einige Fischer standen in weiten Abständen am und im seichten Wasser der Brandung und warfen ihre Köder in die Wellen des Meeres. Die drei Senioren saßen ebenso wieder am Tisch hinter mir. Tatsächlich war das Frühstück (朝ご飯) sehr vielseitig. Natürlich fehlen Reis und Miso-Suppe auch dort nicht. Die sicherlich ungewohnten Bestandteile machten für mich den Reiz aus, da ich in der Regel selten Frühstück zu mir nahm. Umso größer war meine Freude warme Speisen am frühen Morgen genießen zu können. 

Die Sachen waren gepackt, das Zimmer wieder weitgehend hergerichtet und ich machte mich auf zum Ausgang. Ich schlüpfte aus den zu kleinen Slippern, zog mir auf der kleinen Schwelle zum Ausgang sitzend meine Schuhe an und verabschiedete mich mit vielen Dankesworten bei den beiden freundlichen Besitzern. Gern hätte ich richtige Sätze gesprochen, ausgiebig meine Dankbarkeit formuliert, doch so wurde es nur „Arigatougozaimasu“. Der Bus stand schon bereit und lief. Dies war etwas, das mir fast überall außerhalb von Europa aufgefallen war. Man ließ das Auto einfach laufen, wenn man mal „ganz kurz“ in den Laden musste, auf Jemanden wartete oder einfach um die Klimaanlage das Auto vor der Fahrt kühlen zu lassen. 

Die kleine Gruppe Senioren bestieg ebenso den kleinen Bus und wir fuhren ab. Mit beiden Händen winkend, stand die kleine ältere Besitzerin am Ausgang und verabschiedete uns. 

Ich saß also im besagten Bummelzug zu meiner nächsten Station, einem kleinen Ort nördlich von Murakami. Schon während der Fahrt durch den Umsteigeort Sakata, kreuzten sich meine Blicke mit einer strickenden Fahrgästin. Ich war beschäftigt damit, die an mir vorbeiziehende Landschaft und kleinen Örtchen zu fotografieren, hin und her laufend von der einen Seite des Zugs zur anderen. Als wir dann gemeinsam umstiegen und weiterhin in dieselbe Richtung fuhren begannen wir ein Gespräch. Sie hieß Yui und war auf dem Weg zu ihren Eltern, die Unweit von meiner Unterkunft wohnten. Ich erzählte ihr in welchem Gasthaus ich vorhatte zu bleiben, sie fragte warum unbedingt Kosagawa, woraufhin ich mit einem einfachen „es war noch verfügbar“ antwortete. Dies war minder die Wahrheit, als eine Entscheidung einen kleinen Ort zu sehen und nicht all zu lang fahren zu müssen. Eine ungewöhnliche Wahl entgegnete sie, da dort selten ausländische Touristen hinfahren würden. 

Kurz vorher, aus der krampfhaften und anstrengenden Kommunikation resultierend, lud ich mir schließlich die Übersetzer-App herunter. Anders hätten wir uns nicht austauschen können, da Yuis Englisch auch nur sehr rudimentär war. Sie lud mich nach einigen getauschten Worten ein, vielleicht für eine Nacht zu ihren Eltern ins Haus zu kommen. Sie bot an mich von Ihnen durch die nächstgelegene Stadt Akita und Umgebung führen zu lassen. Ich war überrascht ob der Einladung und wir einigten uns darauf weiter in Kontakt zu bleiben, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Fast verpasste ich meine Station und hastete kurz nachdem ich meine Mailadresse in ihr Telefon tippte aus dem Zug. 

Angekommen in Kosagawa (小砂川) trübte mich der Eindruck, den ich mir über das Satellitenbild bildete, in keiner Minute. Das Bahngleis war winzig, der Ort streckte sich entlang einer am Steilhang zur Küste liegenden Straße und niemand war auf den Straßen. Einige Minuten später, von der immer währenden Sonne begleitet, erreichte ich meine Unterkunft. Sie lag am Fuße eines Hangs, unterhalb der Straße, die ich zuvor entlang lief. Ich hatte also schon einen guten Überblick über das kleine Dorf bevor ich ankam, wollte mir jedoch im Detail die Gegend ansehen. 

Die Gastgeberin begrüßte mich bereits an der Tür und es war klar, dass ich der Sprache nicht mächtig war. So verhalfen wir uns einiger Gesten und ich benutzte den Übersetzer an Stellen, die mir wichtig erschienen. Das Haus auf der Ecke zeigte sich in einer gemütlichen Atmosphäre, wenn auch das Gefühl breit wurde bei meiner Oma zu Gast zu sein. Ein dezenter Geruch eines alternden Hauses durchdrang die Flure und Zimmer. Nachdem ich meine Sachen abgestellt hatte und mich mit der Unterkunft vertraut machte, schnappte ich mir die Kamera und lief in einer seligen Ruhe durch die Ortschaft.

Kleine Gassen kreuzten sich, zumeist eingerahmt von die anliegenden Gärten einzäunenden Steinmauern. Selbst in den kleinsten verwinkelten Grundstücken fand ich schön hergerichtete Gärten und eindrucksvolle Pflanzenpracht. Die dazu passende Architektur vergangener Jahrzehnte mit ihren vielen überlappenden Dächern, all ihren Verzierungen an den Giebeln, dem dunklen Holz und den mit Reispapier beklebten Schiebefenstern verzauberten mich. Auf dem Weg durch das Dorf trugen mich meine Füße den Hang hinauf und in das ein wenig oberhalb gelegene Wäldchen, worin sich der örtliche Friedhof befand. Überhangen von dichter Flora und in Terrassen den Hügel hinauf steigend, standen dort die Grabsteine ganzer Familien. Der dazugehörige Tempel thronte auf der Spitze dieses kleinen Bergs. Welch wundervoller Ort, um seine letzte Ruhe zu finden, dachte ich mir in diesem Moment. 

Der Tag verstrich schneller, als es mir lieb war und so machte ich mich bereit für das vor Ort bestellte Abendessen. Es war gute Hausmannskost und machte mich reichlich satt. Während ich aß sank die Sonne am Horizont und es wurde schnell dunkel. Bereits gegen acht Uhr war es tiefe Nacht. Der Mond bildete nur eine hauchdünne Sichel am Himmel und gab den Blick auf die Sterne frei. Die Nacht war dank der Abkühlung auf ungefähr 22 Grad erträglich und ich erholte mich bei offenem Fenster und frischer Luft bestens.

Am folgenden Morgen hörte ich zum ersten Mal ganz bewusst, wie eine Melodie aus den überall stehenden Lautsprechern drang. Es klang ein wenig wie ein europäisches Schlaflied und läutete den Tag um 7 Uhr ein, ebenso Abend um 17 Uhr wieder aus. Kurz darauf teilten mir die Besitzer mit, dass sie mich nach dem Frühstück zu der am Vortag kennengelernten jungen Frau und ihrer Familie fahren würden. Die Familie Takahashi (übersetzt „hohe Brücke“) wären schließlich Freunde und sie würden mich gern dorthin bringen. Gänzlich überwältigt davon nahm ich das Angebot an und freute mich auf den nun folgenden Tag.